Vom Verzicht zum Stolz

 

Oft sind wir in einem Gewohnheitstrott gefangen. Je eng getakteter und stressiger unser Alltag ist, desto leichter schleichen sich alt bewährte Verhaltensmuster ein. Und gerade nach zwei Pandemiejahren voller Zurückgezogenheit machen sich bei mir sowohl Erleichterung und Freude über Präsenzaktivitäten ebenso breit wie das Gefühl der schnelleren Überforderung. Kennst Du das auch?

Wir richten uns die Tage also nach einem Plan ein: aufstehen, duschen, arbeiten, essen, Haushalt. Zur Zerstreuung treffen wir Freunde oder telefonieren mit ihnen, lesen wir ein spannendes Buch oder schauen eine mitreißende Serie. Und wenn wir Sehnsucht nach einem Highlight haben, treffen wir noch mehr Freunde, gehen ins Restaurant oder verreisen. Doch meine persönliche Erfahrung zeigt oft:

Mehr vom Gleichen macht mich nicht glücklich(er).  

So unattraktiv es auch klingen mag, ist es bei mir oft der Verzicht, der mir die Augen für besondere Momente wieder öffnet. Obwohl ich mich selbst dazu zwingen muss!
Frage Dich einmal: Gibt es etwas, das Du für eine Weile von Deinem Plan streichen könntest? Überlege gut, denn auch Liebgewonnenes kann zum Energiefresser werden, kann Deine Seele belasten.
Kann es sein, dass Du über Zeitnot klagst, aber sehr viel Zeit vor dem Bildschirm verbringst? Hast Du vielleicht hin und wieder das ungute Gefühl, nicht genug Zeit mit Deinem Partner oder Deinen Kindern zu verbringen – um doch abends hinter dem Rechner zu verschwinden, E-Mails zu checken und soziale Netzwerke zu pflegen? Deine Seele will hin und wieder entgiftet werden durch eine Rückkehr zur Reinheit, Natürlichkeit, Klarheit, Pureness. Erst mit Dir selbst, eingelassen auf diese Reinkultur, kann die Stressspirale durchbrochen werden.

Verzicht setzt Willensstärke voraus. Auf diesen Wert bauen die Religionen dieser Welt, wenn sie ihre Anhänger zur Mäßigung aufrufen. Hinter diesen Riten steht nicht nur die Enthaltsamkeit, sondern auch der tiefere Sinn, die Seele von den Lasten übermäßigen Konsums zu befreien. Ich persönlich halte nicht viel von zeitlich vorgegebenen Fastenzeiten, gehen sie doch häufig mit Stress aufgrund des veränderten Ablaufs einher und haben nicht selten die totale Erschöpfung im Rucksack. Verzicht ist meiner Meinung nach viel individueller. Es ist (D)eine Entscheidung – und ein gutes Mittel, um den Kontakt zur Seele zu behalten. Weil sich der Verzicht auf das Wesentliche konzentriert. Erst wenn der Zenit der inneren Reinigung von der Alltagsüberlastung überschritten ist, kann ein Gefühl von Frieden entstehen. Und außerdem:

Verzicht erzeugt Stolz – wenn Du durchhältst.

Genau hier liegt die Verführung: Wie oft finden wir Ausreden, um zu verschieben, zu vergessen, am Ende aufzugeben, was wir uns vorgenommen haben. Im Moment des Entschlusses sind wir vom Erfolg überzeugt, denken das Ziel voraus. Und dann kommt der Realitäts-Check. Dieser besteht aus neun Stufen, die wir überstehen müssen, damit unser Vorsatz gelingt.

  1. Entscheide Dich für eine begrenzte Zeit für den Verzicht – und mach ihn nicht abhängig von der Teilnahme anderer. Formuliere Deine Absicht ganz konkret.


  2. Widerstehe dem Verlangen! Dir werden tausend Gründe einfallen, warum ein Bruch sinnvoll / genüsslich / gesellig oder sonst was sein würde. Schieb diese verführerischen Gedanken weg, bevor sie zu stark werden.


  3. Erfreue Dich an Deiner Sensibilität. Deine Sinneswahrnehmung wird feinfühliger, intensiver. Gut so, denn so geht das Überwinden von Versuchungen.


  4. Deine Willenskraft wächst. Du beginnst, Deinen Entschluss als vernünftig wahrzunehmen. Erster Stolz wird spürbar. Jetzt fällt es Dir schon leichter, Versuchungen zu widerstehen.


  5. Die Versuchungen werden seltener. Du kannst ihnen inzwischen problemlos ausweichen. Dein Verlangen ist auf ein Minimum reduziert.


  6. Du erkennst die Vorzüge des Verzichts. Dein Körper und Deine Seele entgiften. In dieser Phase fühlst Du Dich richtig wohl.


  7. Du erkennst die Unterschiede zwischen Genuss und Verzicht. Du kannst einer Versuchung nun für einen Moment / einen Schluck o. a. nachgeben und Dir eine Ausnahme erlauben. Du bestimmst, nicht die „Sucht“.


  8. Du bist dankbar für Deine innere Stärke. Das gute Gefühl, über die kleinen Dinge des Alltag selbst zu entscheiden, bewirkt eine große Kraft in Dir.


  9. Du bist auch in Zukunft fähig, Maß zu halten. Du hast erfahren, dass zu viel vom Gleichen die Seele vergiften kann, aber dass Dir hin und wieder etwas Genuss gut tut. Spiele mit den Nuancen sei stolz darauf, dass Dir diese Leichtigkeit gelingt.


Seelische Gesundheit zu erhalten, ist eine Daueraufgabe. Mit zeitweisem Verzicht gerät die Seele nicht aus der Balance. Dann weiß sie mit schwierigen Situationen umzugehen, ohne an den Umständen zu verzweifeln. Sie hat dann gelernt zu erkennen, was im Leben wesentlich ist.

Sollte es Menschen in deinem Umfeld geben, die über Deine Entschlüsse spotten, sind Dir diese Menschen möglicherweise doch nicht so wohlgesinnt, wie Du das erwartet hättest. Geh in die Diskussion. Steh für Dich ein und sei Dir selbst gegenüber loyal. Bringe Deine Argumente an und höre den Argumenten der anderen zu. Am Ende kannst Du dann entscheiden, wer in Deinem Inner Circle bleiben darf und für wen es sich lohnt, einen Kompromiss einzugehen. Das Staunen der anderen mag Dich auf den ersten Blick verunsichern, auf den zweiten wird es Dich aber ganz sicher stolz machen, dass Du Deinen eigenen Weg findest - das verspreche ich Dir!

 



Deine Miriam

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