Damit Halloween happy bleibt

Ich gebe es zu: Ich habe es meiner Tochter schon vor langem versprochen und mich wochenlang innerlich auf diesen Tag vorbereitet. Wir verbringen Halloween dieses Jahr im Heide Park – im Freizeitpark mit extra Halloween-Spektakel und Sonderöffnungszeit bis 22 Uhr. Dieses Programm haben wir wirklich durchgezogen.

 

Wir sind morgens um sechs Uhr aufgestanden, habe noch leckere, gesunde Lunch Pakets vorbereitet, weil es in solchen Parks ja meistens nur Süßkram und Fast Food gibt. Um kurz nach neun Uhr standen wir zusammen mit ein paar Familienmitgliedern vor den Autos und mein erstes Highlight war, nicht selbst fahren zu müssen. Als allein erziehende Mutter mache ich ja praktisch immer alles selbst und bei dieser Botschaft ging mir direkt das Herz auf. Angekommen, habe ich mir noch einen frischen Kaffee gegönnt und los ging’s. In Mengen strömten die Menschen hinein und neben der Aufmerksamkeit, dass wir uns nicht verlieren habe ich zugesehen, dass ich nicht zu eng umringt werde. Als erstes haben wir in der Schiffsschaukel die oberste Reihe belegt. Die kannte ich schon von früher und das Kribbeln im Bauch brachte mich zum Lachen.

 

Mich selbst gut kennen und abgrenzen

 

Was für eine Selbstironie, Distanz zu den Menschentrauben halten zu wollen, denn schon beim zweiten Fahrgeschäft standen wir in der Schlange. Der Krake war mir nicht mehr in Erinnerung. Mein Gedächtnis konnte nur in etwa die Gefühle wieder in mir wachrufen, die vor rund 25 Jahren in mir geweckt wurden, als ich das letzte Mal hier war. Es war eine Mischung aus Aufregung, Nervenkitzel, Spaß, Lachen und kräftiger Fahrtwind, die ich erinnerte. Dann sah ich mich selbst in dem Kraken sitzen, hoch oben, kurz vor dem Fall. Um ehrlich zu sein, wäre mein Impuls gewesen, wieder auszusteigen. Das ging natürlich nicht mehr. Schon stürzten wir in die Tiefe und schnellten im Bogen wieder hoch. Ich weiß nicht, wann mir das letzte Mal so der Atem gestockt war. Kreischen und Schnappatmung wechselten sich ab, mir war heiß und kalt zugleich und es hätte mich nicht gewundert, wenn man mir den kalten Angstschweiß angesehen hätte. Aber hey, für meine Tochter tue ich doch alles!

 

Wir zogen das Tempo an und nahmen alle „wichtigen“, also alle großen Fahrgeschäfte mit. Ich ertappte mich bei den Gedanken, wie scharf ich früher auf diese Abenteuer war. Es konnte für mich damals nicht hoch und tief und atemraubend genug sein. Ich fragte mich, wo diese Abenteuerlust hin war? Wann hatte ich mich so verändert?

 

Wer hat mir meine Abenteuerlust gestohlen?

 

Natürlich wusste ich, was dahintersteckte: Jahrelange Schmerzepisoden, kaum schmerzlose Bewegungen und so viele Dinge, die eigentlich mit Spaß verbunden waren, sein sollten, haben für mich eine neue Bedeutung bekommen: Viele, kraftvolle Drehungen? Meine Wirbel blockierten, Bandscheiben verschoben sich oder wurden gequetscht. Ein Stoß mit dem Kopf seitlich gegen eine Halterung? Ich würde tagelang brauchen, bis sich meine Halswirbelsäule davon erholte. Ein Sturz in die Tiefe wie vom Fallturm? In meinem Nervensystem würde die Angst noch tagelang nachhallen. Im Kopfstand eines Karrussels den Druck meines Körpergewichtes im Schädel zu spüren? Stundenlanger Nebel, vielleicht sogar Schwindel, der Tod für jede Konzentration.

 

Ich beobachtete, wie ähnlich meine Tochter mir ist. Schritt für Schritt wurde sie immer mutiger. Sie ist so reflektiert, eine sehr gute Selbstbeobachterin und ich bin, wie du lesen kannst, unendlich stolz auf sie. Wir haben super durchgehalten. Ich habe gut durchgehalten. Die letzte Fahrt durch die Dunkelheit im Collossos, kurz vorm Feuerwerk, hat mir für diesen Tag den Rest verpasst. Nicht einmal sehen zu können, wann ich als nächstes stürze und wohin sich die Gondeln drehen, war nach dem bereits sehr gefüllten Tag meine persönliche Krönung. Schon während wir zwischen den einzelnen Attraktionen wechselten und ich mich beobachtete, wie „gut“ ich mit den vollen Wegen, Gastro- und Sitzbereichen, Schlangen umgehen konnte, war ich voller Dankbarkeit für meinen Körper, dafür, wie gut ich gelernt habe, mich innerlich abzugrenzen von den „anderen“, von dem Lärm, den Gerüchen. Und ganz besonders dankbar war ich, dass ich keine körperlichen Aussetzer hatte. Dass ich einen solchen Tag noch einmal mit Freude erleben würde, war vor rund 12 Jahren kaum vorstellbar für mich. So bin ich erfüllt und müde mit meiner ebenso erschöpften Tochter kurz vor Mitternacht wieder zuhause angekommen. Und alles war gut.

 

Das Nicht-Gute annehmen und akzeptieren

 

Natürlich ist nicht immer alles nur gut. Während ich diese Zeilen hier schreibe, ist der „richtige“ Halloween, Thanksgiving Day und wir haben unseren Ausflug einen Tag vorgezogen. Inzwischen ist es vier Uhr nachmittags, ich sitze in bequemer Yoga-Kleidung in meinem Wohnzimmer, mit dem Laptop auf dem Schoß und habe an diesem Tag, außer zu frühstücken und die Wäsche anzustellen, nichts Großes vollbracht. Ich habe ausgeschlafen und mir die erste Stunde nach dem Aufwachen mit Strom (TENS-Gerät), Heizkissen im Rücken und Nacken sowie Eishandschuhen und -füßlingen liegend gegönnt. Alles in mir vibiriert, der innere Schleudergang setzt sich fort, meine Nerven spielen verrückt. Meine Hände und Füße sind deutlich angeschwollen, mein Kopf steckt im Nebel fest, mein mittlerer Rücken will gar keine Bewegungen und die Wortfindungsstörung verhindert ein sinnvolles Gespräch.

 

Das ist die Kehrseite der Medaille. Wer Fibromyalgie hat, sollte seine Kräfte sehr bewusst einsetzen. Das habe ich getan. Ich wusste, dass ich „am Tag danach“ fertig sein werde und wollte keinen Arbeitstag dafür hergeben. Ich bin froh, dass wir das gemeinsam erlebt haben, meine Tochter und ich. Heute darf mein Körper matt und müde sein. Deshalb klappe ich das Laptop jetzt wieder zu und schone mich. Denn morgen geht der Alltag wieder los.

 

 

 

Herzlichst,

 

Deine Miriam

 

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